www.joogn.de /gedanken-ohne-denker.html Samstag, 20. März 2004
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"Gedanken ohne den Denker" (Mark Epstein)

"Ein Fehlstart

Als ich anfing, mich für Buddhismus und Psychologie zu interessieren, wurde mir in einer Situation besonders lebhaft demonstriert, wie schwierig es sein würde, eine Integartion von Beiden zustandezubringen. Einige Freunde von mir hatten im Haus eines Psychologieprofessors ein Zusammentreffen zweier prominenter Buddhisten, die gerade an der Harvard Uni zu besuch waren, arrangiert. Die beiden Lehrer hatten einander zuvor noch nie getroffen und stammten aus 2 sehr verschiedenen buddhistischen Traditionen. Vor dem Zusammentreffen von Buddhismus und abendländischer Psychologie war die Begegnung dieser verschiedenen Schulen geplant. Wir sollten Zeugen dieses ersten Dialoges sein.

Die Lehrer, der 70 Jahre alte Kalu Rinpoche aus Tibet, der jahrelang in völliger Abgeschiedenheit gelebt hatte und der koreanische Zen-Meister Seung Sahn, der 1., der in den VSA gelehrt hat, sollten im Interesses der westlichen Studenten ihr jeweiliges Verständnis der Lehren des Buddha vorstellen. Es sollte ein Dharma-Gefecht (Wortwechsel zwischen Menschen, die durch jahrelanges Studium und Meditation ihren Geist trainiert haben) auf hohen Niveau sein, und wir sahen diesem Ereignis mit all der Erwartung entgegen, die solch einem historischen Ereignis gebührt.

Die beiden Mönche betraten den Raum in wehenden Gewändern - das des Tibeters war kastanienbraun und gelb, das des Koreaners strang grau und schwarz - und mit einem Gefolge jüngerer, kahlgeschorener Mönche und Übersetzer. Sie setzten sich wie üblich mit gekreuzten Beiden auf die Kissen, und der Gastgeber erklärte, der jüngere Zen-Meister sollte beginnen.

Der tibetische Lama saß ganz ruhig da, ließ durch seine Finger der einen Hand eine Art hölzernen Rosenkranz (Mala) laufen und murmelte "om mani padme hum". Der Zen-Meister - er hatte für seine Methode, den Studenten Fragen an den Kopf zu werfen, bis sie ihre Unwissen eingestehen mußten und er dann brüllen konnte: "Bewahrt euch diesen Weiß-nicht-Geist!", bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt - griff tief in seine Gewänder und zog eine Orange heraus. "Was ist das?", fragte er den Lama. "Was ist das?" Das war eine typische 1. Frage und wir spürten, das er bereit war, sich auf jedwede Antwort zu stürzen.

Der Tibeter blieb ganz ruhig sitzen, ließ seine Mala durch die Finger laufen und machte keinerlei Anstalten zu antworten. "Was ist das?" beharrte der Zen-Meister auf seine Frage und hielt den Tibeter die Orange vor die Nase.

Kalu Rinpoche beugte sich sehr langsam zu dem tibetischen Mönch neben ihm, der als Übersetzer fungierte, und sie flüsterten ein paar Minuten lang miteinander. Schließlich wandte sich der Übersetzer mit den Worten: "Rinpoche sagt:'was ist los mit ihm? Gibt es dort, wo er herkommt, keine Orangen?'" an das Auditorium.
Der Dialog war damit zu Ende."


Kapitel 1 - "Eines der überzeugendedsten Momente der buddhistischen Sicht des Leidens ist die im Bild des Lebensrads enthaltende Vorstellung, daß die Ursache des Leidens zugleich die Mittel zur Erlösung sind; das bedeutet, die Perspektive des Leidenden bestimmt, ob ein gegebener Bereich Medium des Erwachens oder der Gefangenschaft ist. Von den Kräften der Gier, des Ärgers und der Torheit bestimmt, verursacht unsere fehlerhafte Wahrnehmung der Bereiche - nicht die Bereiche selbst - das Leiden. Jeder Bereich enthält eine kleine Buddha-Gestalt (eigentlich handelt es sich um den Bodhisattva des Mitgefühls, dessen Streben darauf gerichtet ist, das Leiden anderer zu beseitigen), die uns auf symbolische Weise lehrt, wie wir die falschen Wahrnehmungen korrigieren können, die jede Dimension verzerren und damit das leiden perpetuieren. Wir erfahren keinen Bereich in Klarheit, lehren die Buddhisten; stattdessen durchleben wir sie alle angsterfüllt; abgeschnitten von der Fülle der Erfahrung, unfähig sie zu akzeptieren, fürchten wir uns vor dem, was wir zu sehen bekommen. So wie wir den »geschwätzigen Affen« in uns nicht zum Schweigen bringen können, so gleiten wir von einem Bereich in den Nächsten, ohne wirklich zu wissen, wo wir uns befinden. Wir sind in unserem Geist befangen, kennen ihn aber nicht wirklich. Von dessen Wellenbewegung angetrieben, treiben wir dahin und mühen uns ab, weil wir nicht gelernt haben, loszulassen und frei zu schweben."
Kapitel 1 - "Dem Buddhismus zu folge ist es unsere Furcht davor, uns unmittelbar selbst zu erfahren, die Leiden schafft. Dies schien mir immer sehr gut zu Freuds Ansichten zu passen. So behauptet Freud, der Patient muß den Mut erwerben, seine Aufmerksamkeit mit den Erscheinungen der Krankheit zu beschäftigen. Die Krankheit selbst darf ihm nichts Verächtliches mehr sein, viel mehr ein würdiger gegner werden, ein Stück seines Wesens, das sich auf gute Motive stützt, aus dem es Wertvolles für sein späteres Leben zu holen gilt. Die Versöhnung mit dem Verdrängten, welches sich in den Symptomen äußert, wird so von anfang an vorbereitet, aber es wird auch eine gewisse Toleranz für's Kranksein eingeräumt.

Der Glaube, daß Versöhnung zur Erlösung führen kann, ist grundlegend für die buddhistische Vorstellung von den "Sechs Bereichen". Wir können nicht zu Erleuchtung gelangen, solange wir unserem neurotischen geist entfremdet bleiben. Wie Freud so weitblickend bemerkte: »Auf diesem Felde muß der Sieg gewonnen werden, dessen Ausdruck die dauernde Genesung von der Neurose ist, ... denn schließlich kann niemand in absentia oder in in effigie erschlagen werden.« In jedem Bereich unserer Erfahrung, lehren die Buddhisten, müssen wir klar sehen lernen. Nur dann läßt sich das leiden umwandeln, das der buddha als universell erkannte. Die Erlösung vom Lebensrad, von den "Sechs Daseinsbereichen" wird traditionell als Nirvana beschrieben und mit dem Pfad symbolisiert, der aus dem Bereich der Menschen herausführt. Es ist jedoch mittlerweile ein grundlegendes Axiom des buddhistischen Denkens, daß Nirvana Samsara ist - daß es keinen getrennten Bereich des Buddha neben der weltlichen Existenz gibt, daß die Erlösung vom Leiden durch eine veränderte Wharnehmung gewonnen wird, nicht durch das überwechseln in den himmlichen Bereich.


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