Jo' wrote:Wie Du merkst, bin ich gelegentlich bei gewissen Themen emotionaler.
Gerade wenn das Thema mir besonders am Herzen liegt, muss ich mich um die größtmögliche Rationalität bemühen. Sonst wirke nicht mehr überzeugend.
Das ist in der Tat gut. Doch das man als Zuschauer (einiger) dieser Sender diffamiert wird, weil man "RT" nun mal nicht schaut oder das nur "Verschwörungstheoretiker" (etc.) sind, finde ich - in Anlehnung, meines eigentlichen Anliegens - eine sehr bedenkliche Entwicklung.
Natürlich muss ich darauf achten, aus welcher politischen Ecke das stammt, was ich mir da ansehe. Etwa so, wie ich mir als Historiker auch die Wochenschau von 1942 ansehen und wichtige Informationen daraus entnehmen kann, ohne dabei die Propaganda für bare Münze zu nehmen.
Abgesehen von wirklich mutwilligen Lügen und Verleumnung (für die oder gegen die es schon Gesetze gibt), schabt so was bedenklich dicht daran, die durch's Grundgesetz uns zugesicherte Meinungsfreiheit aushebeln zu wollen. Neoliberale Rhethoriker benutzen solche emotionalen Argumente ("Lügen sind doch nicht richtig und das wollen wir doch nicht, oder?") um sich Schritt für Schritt an Kontrollen und Verbote heranzuarbeiten.
Gerade im "Neusprech" des zwangzigsten Jahrhundert, wurden doch, was man eigentlich Lügen nennen kann, durch Euphemismen und anderen sprachlichen Manipulation fast schon zur Gewohnheit. Das Politker z.B. Wahlversprechen nicht einhalten, ebenso.
Beleidigung und Verleumdung sind im StGB definiert. Dieser Standard sollte auch für die Medien gelten. Lügen sind nicht strafbar, solange sie die Definition des StGB nicht erfüllen, und es wird in der Öffentlichkeit gelogen, seit es Menschen gibt (so komme ich als Historiker auch nicht auf die Idee, die Inschriften der Pharaonen mit ihren Siegesmeldungen für die reine Wahrheit zu halten). Aber wenn die Grenzen der Strafbarkeit überschritten werden, dann sollte in sämtlichen Medien dagegen vorgegangen werden können. Wir brauchen es nicht zu dulden, wenn Rechtsradikale oder Islamisten im Internet zu Gewalttaten aufrufen oder Anleitungen zum Bombenbau veröffentlichen. Wenn dort hingegen Spinner behaupten, die Erde sei eine Scheibe, müssen wir sie halt lassen, auch wenn wir ihre Meinung als idiotisch betrachten.
Das ist das Problem, der örR wird in der breiten Öffentlichkeit als ein Ideal angesehen, das er mitnichten ist.
Man hat es seiner Zeit versäumt, diese sog. "Aufgabe" oder den "Auftrag" eindeutig zu definieren und einzuschränken. Die Deutungsfreiheit dafür , wie weit diese "Aufgabe" geht, nimmt man sich beim örR selbst.
Das hat der öR dann gemeinsam mit dem Christentum, dem Kommunismus, dem Liberalismus, der wissenschaftlichen Objektivität - lauter Ideale, deren Umsetzung weiterhin weit entfernt ist. Solange ich das weiß, wird es mich aber nicht irritieren.
Und das darf per Definition nicht sein. Selbst die Richter des BVerfG haben in ihrem Urteil vom 16.8.2018 - wenn man sich auch sehr zu Gunsten des örR verbog - betont, dass es insbesondere heutzutage dem örR obliegt neutral zu berichten und Fakten von Meinungen zu trennen.
Da gibt es noch viel Raum für Verbesserungen.
Dennoch, benötigen sie ob der 9 Mrd. an Beiträgen zusätzlich ihre Werbung und haben dafür auch eigene ausgelagerte Firmen. Ihre Sendungen werden de facto an Einschaltquoten orientiert, was sie per Definition gerade nicht tun sollen. Weil ja der örR ein Mittel zur Marktkorrektur sein soll. Sprich auch Unpopuläres senden.
So ist es - und das kommt dabei heraus, wenn man versucht, eine Einrichtung zur Daseinsvorsorge nach kapitalistischen Grundsätzen zu führen. Man sieht es ebenso im Bildungs- und Gesundheitsbereich.
2014 gab es (nach vier Jahren) vom BVerfG dazu ein Urteil betreffs des ZDF-Rates, dass dort zu viele Politiker drin sind und das geändert werden muss. Das hat Jahre gedauert und ob die Auflagen damit wirklich erfüllt sind, weiß ich trotzdem nicht.
Das wird sicherlich noch viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen, bis sich dem angestrebten Ideal etwas näher kommen lässt. Aber deswegen müssen wir ja nicht aufgeben, uns für Verbesserungen einzusetzen.
Das ist in der Tat erstrebenswert. örR-Kritiker gehen noch weiter: dass es auch Mitbestimmungsrecht bei Programminhalten geben soll. (z.B. mehr Bildungsprogramm)
Da hast Du recht - der öR sollte sich auf Information und Bildung konzentrieren und überhaupt auf all das, womit sich kein Geld verdienen lässt. Für Unterhaltung können die Privatsender sorgen. Wie Gregor Gysi schon vor über zwanzig Jahren feststellte: man kann ein Krankenhaus nicht nach den gleichen Grundsätzen führen wie eine Würstchenbude - wenn der Laden keinen Gewinn abwirft, machen wir ihn eben zu.
Ich glaub, das ist Teil meines Dilemmas. Ich bin gelernter Elektroniker. Dort sind Datenblätter die Referenz. Auch bei Programmiersprachen war das mal eindeutiger. Aus dieser Schule komme ich. Da gibt es keine "Meinung" oder "Vielleicht". Ein Mikroprozessor hat eine definierte (eingeschränkte) Funktion.
Da ich nicht zu den Naturwissenschaftlern, sondern den Geisteswissenschaftlern gehöre, bin ich es gewöhnt, mit häufig vagen und verschwommenen Begriffen arbeiten zu müssen. Eine absolute Wahrheit gibt es da nicht, sie ist zumindest nicht erkennbar. Wir können nur versuchen, uns an sie heranzutasten, ohne dieses Ziel jemals sicher erreichen zu können.
Jedoch auch dabei ist man doch so stolz auf seine neue Religion: die Wissenschaft. Und wenn man etwas nicht weiß, kommuniziert man das. Man hat seine Forschungsmethoden und Fachkräfte, die ihr Wissen konzentrieren (könnne). Doch es zeigt sich, dass es andere Kräfte gibt, die sich "wissenschaftlich" und "wahrhaftig" bezeichnen, es jedoch nicht sind. Und sei es nur aus profaner Arroganz. Von Profitgier ganz zu schweigen.
Wissenschaft und Religion haben unterschiedliche Wahrheitsbegriffe. Deswegen wird die Wissenschaft verhunzt, wenn man sie als Religion benutzen will. Und bei der Gier und der Selbstsucht sind wir wieder bei einer bedauerlichen, aber unausrottbaren menschlichen Grundbeschaffenheit.
Letztendlich finde ich es einfach nur nach all den Jahren meines Lebens so bedauerlich, zu sehen, welches Potential Menschen haben und wie es für niedere Machtgelüste vergeudet wird.
Das ist eine geschichtliche Konstante. Es ging stets nur um Macht und Geld (letzteres zumindest, seit es Geld gibt). Dass wir Menschen unsere Potentiale verschwenden und so viel mehr erreichen könnten, wenn wir nur nicht so selbstsüchtig und gierig wären, ist traurig, aber nicht zu ändern. Menschen sind so (zumindest viel zu viele von ihnen).